Stu Mead‘s Ready Maids

von Hansdieter Erbsmehl

für stumead.com im Dezember 2006
"Manbag", "Miniput", "Devil’s Milk" – unter diesen Überschriften präsentieren die drei Galerien dieser Website ausgewählte Gemälde Stu Meads der Jahre 1994–2006. "Manbag", "Miniput" und "Devil’s Milk" dienten bereits als Titel von Büchern bzw. Heften, die zwischen 1998 und 2006 bei "Le dernier cri" in Marseille erschienen sind und einen Großteil von Meads Gesamtwerk reproduzieren. Wie alle Publikationen in diesem Verlag zeugen sie von einer anarchistischen Lust an Blasphemie und Obszönität. Aufwendige künstlerische Druckverfahren und kleine Auflagen machen sie zu gesuchten Sammlerobjekten.

"Man Bag" – so hieß zunächst auch ein billig aufgemachtes, xerographiertes Fanzine, das der Maler Frank Gaard zwischen 1991 und 1998 gemeinsam mit Stu Mead in Minneapolis herausgegeben hatte. Auf Deutsch bedeutet "Man Bag" soviel wie "Herrenhandtasche". Doch angesichts der expliziten Inhalte schwingt in dem Wort noch eine Bedeutung mit, für die der deutsche Volksmund die treffende Abkürzung "BUKo" – für Beischlaf-Utensilien-Koffer – geprägt hat. Die insgesamt sieben erschienenen Hefte enthalten Zeichnungen der beiden Maler sowie maschinenschriftliche Texte Gaards, meist Editorials oder getürkte Leserzuschriften. Beide Rubriken sind unschwer als Persiflagen zuerkennen. In Stil, Aufmachung und Vervielfältigungstechnik erinnert "Man Bag" an Publikationen des politisierten US-amerikanischen Underground seit den 1960er Jahren. Als Herausgeber der Zeitschrift "Art Police" hatte Gaard selbst aktiv daran teilgenommen. Doch die Zeichnungen und Texte handeln ausschließlich von den sexuellen Vorlieben, oder es muss besser heißen: den Nöten der beiden Männer. Selbstironisch verglich Gaard sie mit dem Ausschuss billiger Witzblätter ("rejects from cheap humor magazines"), was bedeutet, dass sie sogar das Niveau solcher Fanzines noch unterbieten.

Gaard (geb. 1948) und der sieben Jahre jüngere Mead hatten sich am Minneapolis College of Art and Design kennengelernt. Hier hatte Gaard seit 1969 als Lehrer gewirkt, bis er 1987 wegen seines gesundheitlichenZustands und eines Lebens zwischen manischen und depressiven Störungen gezwungen war, das Lehramt aufzugeben. Im selben Jahr hatte Mead sein Kunststudium abgeschlossen. Seine eher privaten Zeichnungen in Skizzenbüchern waren geprägt von einem (Sexual)Leben als körperbehinderter Außenseiter. Davon wird noch zu sprechen sein. Im Vergleich mit anderen Künstlern der Stadt hatten sich die beiden Männerals Außenseiter erfahren, deren Kunst im psycho-physiologischen Sinne als zustandsgebunden gesehen und toleriert wird. Dieser Status ließ sich zumindest zeitweise auf lokaler Ebene mit einigem Erfolg kultivieren.

Völlig hemmungslos konnten die beiden Männer im Stil von Bierzeitungen("rag magazines"), spätpubertären Witzblattzeichnungen und Wichsvorlagen (Mead spricht von "masturbatory images") ihren blasphemischen Sexualphantasien frönen. Bezüglich Mead hat Ghazi Barakat die ganze Bandbreite aufgelistet: "Blutschande, Sado-Masochismus, Koprophagie (Kotessen), Defäkation (Stuhlentlehrung), Wasserlassen, Lesbianismus von Kindern, inzestuöser Lesbianismus, Hermaphroditentum, Fellatio, Sodomie." Auch wenn Mead in den Vereinigten Staaten ein gewisser Freiraum für die künstlerische Beschäftigung mit derart perversen Sexualphantasien zugestanden wurde, konnte er sich doch erst in Europa und Japan als ernstgenommener Künstler behaupten. In einem 1998 von "Le dernier cri" geführten Interview meinte er, dass es in Europa wohl viel unproblematischer sei, die Tatsache anzuerkennen, dass einem innerste Träume und Wünsche durchden Kopf gingen ("Il me semble qu'en Europe on accepte plus facilementle fait que les fantasmes se passent plus dans la tête." Im selben Jahrnoch verlegte er seinen ständigen Wohnsitz nach Berlin.

Die Bilder kleiner Mädchen waren bislang der Höhepunkt in Meads künstlerischer Produktion. Bewusst und analytisch reflektieren sie "die Abscheulichkeit von Pädophilie" (Barakat). Vorpubertäre Mädchen, aber auch pubertierende Heranwachsende und geschlechtsreife Frauen sind das zentrale Personal der stets kleinformatigen Gemälde. Ihr Alter ist unterscheidbar, stets erkennbar am Grad der körperlichen Reife, doch spiegelt der Ausdruck der puppenhaften Gesichter fast immer den Zustand gespielter Unschuld und aggressiver Erotik. In sexuell aufgeladenen Posen lässt Mead seine Mädchen und Frauen ihre geschlechtlichen Reize ausspielen, ohne sie dabei vom traditionell stereotypen Rollenverständnis abzugrenzen. Einerseits darf sich noch das jüngste dieser "Babes" wie eine erwachsene Frau gerieren, während diese andererseits befangen sein kann in einer infantilen Konstellation.

Mead lässt alle Frauen und Mädchen mehr oder weniger unverhohlen für den männlichen Voyeur posieren. Oft wird dieser nicht nur mitgedacht, sondern erscheint als solcher. Die Bilder weiblicher Kinder und kindlicher Weiblichkeit imaginieren erotische Fantasien, sexuelles Begehren und abjekte Obsessionen. Die meisten der Mädchen sind kleine Erwachsene, deren Frühreife durch eindeutige sexuelle Handlungen forciert wird. Die elementare erotische Ausstrahlung von Kindern wird ihnen ebenso verweigert wie die Idealisierung unschuldiger Kindheit. Das kleine androgyne Mädchen als Muse kommt hier ebenso wenig vor wie die Kindsbraut, jenes Übergangswesen aus Kind und Frau, das sich in seiner geschlechtlichen Unentschiedenheit der weiblichen Reife widersetzt. Somit kommt es in keinem der Bilder zu einem Kurzschluss der Geschlechterdifferenz. Diese bleibt stets präsent, wird niemals in Frage gestellt und negiert. Über die traditionelle Rollenzuweisung hinwegtäuschen können auch nicht jene Paare, die aus einer geschlechtsreifen Frau und einer "Novizin" bestehen. Denn letztere wird auf ihre Rolle als zukünftige Geschlechtspartnerin des Mannes eingestimmt.

Sie sind noch Kind und doch schon Frau. Der geschlechtliche Reiz kündigt sich an, während die kindliche Unschuld nur mühsam gewahrt wird. Die Nymphette erscheint als Heilige und Hure, als Engel und Teufel. Ihre libidinöse Devianz ist bewusst künstlich-unnatürlich inszeniert und bedient fetischistische, voyeuristische und exhibitionistische Lustmechanismen. Die Tabubrüche der kleinen devianten Mädchen ereignen sich in burlesken, übertrieben karnevalesken Szenen. Das ist eine ebenso glückliche wie sexualisierte Welt von "poupées subversives", aus der der erwachsene Mann nicht immer ausgeschlossen ist. Hier dürfen sie alles tun und lassen, was kleinen Mädchen gemeinhin aberzogen wird, hier werden sie zu Begehrenden, nicht Gebärenden erzogen – zu Ready maids. Ein Gedanke von Oscar Wilde –zitiert in einem der "Man Bag" Hefte – bringt die weibliche Devianz treffend zum Ausdruck: "Women have a much better time than men in thisworld. There are far more things forbidden to them."

Also keine aggressiven Grenzübertretungen einer phallischen Männerphantasie? Keine pornografischen Ausgeburten eines Frauenhassers, dem vorpubertäre Kindlichkeit lieber ist als erwachsene Weiblichkeit, weil im Ernstfall allein hier die geschlechtlichen Machtverhältnisse und Hierarchien noch Bestand haben? Heutigen postfeministisch argumentierenden Autor_innen stellen sich solche Fragen erst gar nicht. Meads Bilder wurden noch nie ernstlich dem Verdikt pornographischer Kunst preisgegeben. Denn als pornografisch gilt heute allenfalls der (männliche) Blick, nicht jedoch das Bild selbst. Pornografisch wird es erst durch die Koppelung mit Worten, z.B. wenn behauptet wird, dieses oder jenes Bild sei pornografisch. Zudem scheint die Uneindeutigkeit der Kindfrau, ihre Unschuld bei gleichzeitiger sexueller Verführungskraft, gerade auch im Postfeminismus das Gelingen einer Flucht aus der binären Geschlechterkonstruktion zu versprechen.

Gleichwohl: Meads Mädchen partizipieren an einer stets unverfrorener vorangetriebenen Sexualisierung des weiblichen Kindes in der visuellen Massenkultur der alten westlichen und neuen postsozialistischen Konsumgesellschaften. Die Trennung zwischen Unterhaltungskultur und Kommerz ist dort aufgehoben. Schon früher wurde das optisch vermittelte Alter von singenden und tanzenden Kinderstars so weit wie nur möglich heruntergesetzt. Von ihren kleinen Geschlechtsgenossinnen, den Baby Janes des frühen Kintopps und des Varietés, unterscheiden sich die Beispiele von heute – das aktuellste ist LaFee – vor allem durch die Aggressivität des Merchandizing.

Im popkommerziellen Mainstream hat die Inszenierung der Kindsbraut die provokative, subversive, subkulturelle Dimension verloren, die ihr einst als deviante Strategie Einzelner zugeschrieben werden konnte und die herrschende Normen und moralischen Werte zu missachten und verletzten schien. Als sekundäre Devianz ist sie heute nicht nur integriert, sondern im inszenierten Lebensstil einer ganzen Generation aufgehoben. Im Unterschied zu früher spricht die Kindfrau nicht mehr den erwachsenen Mann an. Vielmehr sind es nicht zuletzt die gleichaltrigen Geschlechtsgenossinnen, deren Konsumverhalten durch "erotische Energien" um so steuerbarer werden, je größer die Geldmengen sind, die dieser Zielgruppe der beschränkt geschäftsfähigen Kinder und Jugendlichen zur Verfügung stehen.

Im Vergleich mit der aggressiven Sexualisierung der Kinder-Popstars in der Unterhaltungskultur oder der infantilisierten Frau, z.B. in der Modeindustrie, erscheinen Meads gemalte Kindsbräute als Travestien. Der Filter ihrer frechen Ironie wirkt entwaffnend und überwindet den Schock der ersten Wirkung. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob die Kindfrau nur eine mediale Projektion ist, ein Phatasmata, oder ob das erotisierte präpubertäre Mädchen ebenso real existiert wie die auf unschuldig getrimmte geschlechtsreife Frau, beides also alltägliche Erscheinung sind, an der "mann" irre wird.

Meads Mädchen travestieren nicht nur den heutigen popkommerziellen "childporn", sondern entlarven auch den lebensgeschichtlich inadäquaten Umgang der akademischen Kunstgeschichte mit fotografierten und gemalten Kinderakten der letzten beiden Jahrhunderte als ideologische Projektionen. Die Kindsbraut, die bis vor einigen Jahren noch in Dichtung und Literatur, im Bühnendrama und in der Oper, in den bildenden Künsten und im Film vorkam, war Teil der bürgerlichen Hochkultur, die gnädig einen ästhetischen Schein über das Phänomen der Sexualität zwischen den Generationen ausgebreitet hat. In Gestalt eines meist androgyn wirkenden Wesens wurde sie zur Muse des männlichen Künstlers erklärt, die ihn zu seinen künstlerischen Schöpfungen als Höchstleistungen antreibt. Lewis Carroll inszenierte kleine Mädchen ausbürgerlichen Familien vor dem fotografischen Auge in der freien Natur als Zigeunerinnen und Verworfene (castaways). Unberührbar in der Welt, aus der sie kamen, wird ihre sexuell-erotische Ausstrahlung erst in der inszenierten Wildheit außerhalb jener familiären Sphäre mitteilbar.

Oder das 9-jährige Kindermodell Franziska Fehrmann und die 14-jährige Kinderprostituierte Senta, die 1910 in Ernst Ludwig Kirchners Atelier in Dresden aufeinandertrafen: beide haben sie den Drang des Malers nach unzensierter Ausdrucksfreiheit ohne ästhetische Filterung auf eine harte Probe gestellt. Die Kunstgeschichte hat das unbürgerliche sexuelle Außenseitertum Kirchners und seines Malerkollegen Erich Heckel meist heruntergespielt und ihm damit die existentielle Spitze genommen.Die Kinderakte der beiden Maler wurden ideologisch interpretiert als visuelle Äquivalente für den harmonischen Ausgleich mit dem Ursprünglichen, Einfachen und Natürlichen, als symbolisch-utopische Sehnsuchtsbilder. Dieser unterstellten Utopie einer im Grunde pädophilen Einheit von Mensch und Natur (sprich Erwachsener und Kind) und von der Unschuld und Reinheit präpubertärer Mädchen ist die eigentliche erotische Macht der Kindfrau über die Maler entgegengesetzt. Allenfalls hat sie die unwiderstehliche Macht der Anziehung als Faszinosum und Geheimnis im Bild, d.h. mitgeteilt überden platonischen Augensinn, akzeptiert.

Bei Stu Mead wird die Erotik als prägenitaler Schauplatz der Vorlust ausgeschlossen. Unumwunden kommen die Bilder "zur Sache". Und doch travestieren sie nur das althergebrachte Arsenal quasi-mythologischer Darstellungen kindlich erotischen Versprechens und einer janusköpfigen jungfräulich unschuldigen Natur. Sie entlarven die Verehrung junger Mädchen aus Freundschaft oder Geschwisterlichkeit als ideologische Rechtfertigung intergenerationeller Sexualität. Sie sind völlig frei von unglaubwürdigen idealistischen Utopien. Stattdessen frönen sie dem öffentlich zur Schau gestellten Spiel des Begehrens und deklinieren die Kunst der sexuellen Ausschweifung. Die kleinen Bilder selbst sind Ausschweifungen und Exzesse im Medium der Kunst. Das Erotische in ihnen ist nicht vieldeutig verrätselt, "dichterisch" ummantelt oder camoufliert, sondern eindeutig und obszön entblößt. Das anarchistische Lustprinzip anakreontischer Nymphen und Faune ist obszön und pornografisch. Es überlagert die ungestörte Natürlichkeit des Kindes mit einer konvulsivischen Imagination. Alles was gefällt, ist erlaubt.

Die Darstellung von Defäkationen und Exkrementen, überhaupt der skatologische Anteil in vielen der Bilder, widersetzt sich der Instrumentalisierung des kindlichen Körpers durch pädophile Betrachterund damit seiner Ökonomisierung und sexuellen Ausbeutung als Ware. Das Bild des scheißenden Mädchens bleibt etwas Abjektes und verletzt das Schamgefühl. Denn abjekt sind jene Körperfunktionen, die verabscheut werden, die Grauen und Schrecken erregen – und die der Maler als Selbsterniedigung erkennt: "I’ve painted pictures with this scatological subject matter and come to see that it’s connected self-degradation."

Zur chimärenhaften Ausgeburt männlicher Phantasie geraten jene Monster-Mädchen, die aus weiblichem Kind und männlichem Geschlechtsteil zusammengesetzt sind. Ihre männlichen Eigenschaften wie Begehren und stete Bereitschaft zum Sexualakt erhöhen das andere, gemeinhin als passiv geltende Geschlecht. Diese Mädchen folgen dem Schrei der Natur, kaum dass sich die körperliche Reifung ihrer Geschlechtsteile vollzogenhat. Ihr Begehren richtet sich zwar mit Zögern, doch völlig frei von Scham auf den Mann.

Kleine Gemälde in Acryl, auf Leinwand oder auf Papier, Bilder fürs Boudoir, nicht größer als Seurats Studien für das Gemälde der "Poseuses", für die ihr Besitzer, der Kunstkritiker Félix Fénénon eigens drei mit Veloursamt ausgeschlagene Schatullen hat anfertigen lassen, um sie schonend im Reisegepäck transportieren und auf diese Weise noch das banalste Hotelzimmer mit Leben erfüllen zu können. Wo gäbe es heute noch solche Kenner und Liebhaber? Wohl kaum im pädophilen Milieu. Denn weder billigen Meads sexualisierte Mädchen pädophile Verhältnisse, noch lassen sie sich für deren stets weitervoranschreitende kommerzielle Verwertung vereinnahmen.

Stu Mead hat sich immer wieder dazu geäußert, dass die Inhalte seiner Bilder von ihm selbst handelten ("It’s always about me", 1997) und als "eine persönliche Recherche" zu verstehen seien ("Ma peinture c'estplus une recherche personnelle, ce vers quoi je veux aller sans savoirvraiment quoi", in "Manbag", 1998). Vor der Übersiedlung nach Deutschland gab es einige mehr oder weniger versteckte Selbstbildnisse als Clowns und Possenreißer, die kleine Mädchen bei ihren Vorführungen beobachten. Manchmal erinnern sie an den Cover und Idiot boy Alfred E.Neumann, den Protagonisten des Mad Magazines mit Fledermaussegelohren und idiotischem Grinsen. In anderen Bildern ist es der schüchterne, ängstliche schamhafte und körperlich behinderte Mann, der die Vorstellung vom geknechteten, unterworfenen, unterdrückten, versklavten Mädchen relativiert. Mit Galgenhumor hat Mead selbst auf seinekörperliche Missgestalt mit einer "bezaubernden Fresse" hingewiesen("being physically deformed and having a charming mug"). DieGegenüberstellung anzüglicher Posen kleiner Mädchen mit dem elenden Körper eines jungen Mannes, der kaum größer ist als diese, stellt das Selbstbewusstsein des Malers als erotisch-sexuelles Individuums auf die Probe.

Die physiologische Deformation durch Arthrogryposis multiplex congenita(AMC) machte ihn jedoch nicht automatisch zum Outsider Artist, dessen Kunst ohne akademisches Training und abseits der etablierten Systeme entsteht. Das wäre allenfalls so, ließe sich die Passion für das weibliche Kind allein autobiografisch mit der körperlichen Behinderung erklären. Outsider Kunst ist jedoch zustandsgebundene Kunst seelisch Kranker, zumeist psychisch Gestörter, aber auch von Gefängnisinsassen oder einfach gesellschaftlich Unangepassten. Die sexual-pathologische Grundierung von Meads Bildern, die Barakat und andere mit den Farbzeichnungen von Henry Darger verglichen haben, ist selbst noch kein Ausweis für eine amoralische Außenseiterkunst.

Für den Krüppel, der in einer abnormen Leidenschaft für das kleine Mädchen lebt, gibt es zahlreiche Beispiele in Kunst und Literatur: "Im Anderen des schönen Mädchens erblickte der hässliche Zwerg die Unschuld seines kindlichen Selbst" (Wetzel). Hier handelt es sich jedoch stets um Kunstfiguren, um literarische Gestaltungen, nicht um reale Künstler und Schriftsteller, die sich in marginalisierten Stellungen die Mädchen ihres Begehrens phantasieren. Außenseiter ist Mead nur insofern, als er im normierten Wettbewerb um die Frau so beschaffen ist, den Kürzeren zu ziehen. Der Defekt des Bewegungsapparates wurden zum Handicap im ästhetischen Wettstreit und verringert – ganz im Sinne von Michel Houellebecq – seinen Marktwert als Mann.

In der Geschichte gibt es Beispiele für Männer mit verwachsener Statur und einer erotischen Affinität für das kleine Mädchen. Das bekannteste ist Georg Christian Lichtenberg, der kleinwüchsige Göttinger Professor für Experimentalphysik, der in einem solchen kaum 14-jährigen Kind die verwandte Seele erkennen wollte. Es war ihm nicht nur vergönnt, dessen ungekünstelte Aufmerksamkeit zu erzielen, vielmehr lebte er mit ihm "im Stand der unheiligen Ehe", wie er selbst in einem seiner "Sudelbücher" schrieb.

Auch wenn Mead eine solche Begegnung bislang nicht widerfahren ist, soscheint seine besondere Affinität zu Kindfrauen doch gegenseitig zu sein. Das zeigt der Blick auf die Portraits meist junger erwachsener Frauen, die er in den letzten Jahren gemalt hat, Frauen, die sich trotz– oder gerade wegen Meads Obsession – dafür entschieden haben, ihm Portrait zu sitzen.
Konsultierte Literatur

zu Stu Mead: The Immortal Man Bag Journal of Art, Marseille 1999 | Vince Leo, "Stuart Mead - Speed Boat Gallery, Minneapolis, Minnesota",Art Forum, Jan. 1993 | Ghazi Barakat, "The Late Great Aesthetic Taboos", in: Apocalypse Culture 2, Feral House Venice California, 2000 | Sarah Diehl, "Da gibt es irgendwie keinen Weg raus – Ein Gespräch mit Stu Mead", in: Brüste kriegen – Geschichten und Bilder, Hg. S. Diehl, Berlin 2004

allgemein zum Thema: Michael Wetzel, Mignon – Die Kindsbraut als Phantasma der Goethezeit, München 1999 | "Wir stürzten uns auf die Natur in den Mädchen – Die Kindermodelle der Künstlergruppe Brücke", Georges-Bloch-Jahrbuch des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Zürich 2002/03, S. 113–149 | Anja Osswald, "Kind-Frau-Phantasma", in: Bild Macht Rezeption – Kunst im Regelwerk der Medien, Hg. S. Bauer, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Berlin 2006,S. 47-59

Hansdieter Erbsmehl, PhD, geb. 1953, Studium der Kunstgeschichte in Marburg und Los Angeles, lebt als freier Autor und Kurator in Berlin. Veröffentlichungen u.a. über Friedrich Nietzsche und bildende Kunst, Harry Graf Kessler, KG "Brücke" und zeitgenössische Kunst.